Teleshopping und Live-Anprobe: Handel ringt mit der Krise
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/YZOICBKIGQQGMI45HGEN44JSR4.jpg)
Tatjana Steinbrenner steht im Verkaufsraum des Traditionshauses in der Innenstadt von Bensheim.
© Quelle: Boris Roessler/dpa/Archivbild
Bensheim/Wiesbaden. Die Corona-Krise ist für viele Modehändler zur Belastungsprobe geworden. Nachdem schon der erste Lockdown im vergangenen Frühjahr einen herben Dämpfer für das Geschäft bedeutete, sind seit Dezember warme Jacken, Mäntel, Pullover und andere Wintersachen hinter verschlossenen Türen auf den Kleiderständern hängen geblieben. Sven Rohde, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Hessen, berichtet über Umsatzverluste von 30 bis 70 Prozent. Und weil die Anträge auf staatliche Hilfen gerade für das stark saisonal geprägte Geschäft der Modehändler viel zu kompliziert seien, steckten immer mehr Unternehmen in der Existenzkrise.
Tatjana Steinbrenner will sich davon nicht unterkriegen lassen. Nachdem sie im Dezember ihr familiengeführtes Kaufhaus in Bensheim coronabedingt zusperren musste, begann sie, Ideen zu entwickeln, um trotzdem Waren zu verkaufen - und vor allem die Verbindung mit den Kunden zu halten. Gerade jetzt in der Krise sei das besonders wichtig, sagte Steinbrenner der Deutschen Presse-Agentur. Mit einem Freund entwickelte sie ein Teleshopping, das via Youtube und Facebook abgerufen werden kann und schon zum Start rund 400 Zuschauer hatte, wie Steinbrenner sagt. Auch wenn die Umsätze zunächst überschaubar blieben - "wir zeigen, wir sind am Leben, und man redet über uns."
Bei den folgenden Events hätten schon teils deutlich über 1000 Zuschauer die Livestreams verfolgt, das gab der Unternehmerin Auftrieb, und sie ging mit einem Koch-Teleshopping-Event online, bei dem sie auch Produkte ortsansässiger Händler aus der Bensheimer Fußgängerzone anbot. Im Online-Geschäft sei die Unternehmerin ohnehin schon länger aktiv.
Erst vor einigen Wochen hatte die Aktion einer Modehändlerin vor dem hessischen Landtag für Aufsehen gesorgt. Sie stellte die Kleidung aus ihrem Wiesbadener Geschäft kurzerhand auf die Straße - verbunden mit der auf Zettel gedruckten Botschaft "Hier stirbt der Modehandel". "Die Aktion in Wiesbaden zeigt exemplarisch die aktuelle Lage des Textileinzelhandels", sagte Sven Rohde vom Handelsverband Hessen. Händler, die noch vor der Corona-Krise gesunde Unternehmen geführt hätten, seien jetzt auf Lohnersatzleistungen angewiesen.
Schwierig für den Modehandel sei vor allem, dass unbürokratische Abschreibungsmöglichkeiten auf Saisonware fehlten. Im vergangenen Jahr hätten die Unternehmen zwar einen Teil der Ware an die Hersteller zurückgeben können - doch falle die weitere Geschäftsplanung wegen immer neuer Regeln und Lockdown-Verlängerungen äußerst schwer. Die Orders für dieses Frühjahr seien längst getätigt, doch zeichne sich ab, dass auch das Ostergeschäft wegfalle - und das, obwohl Mode "verderbliche Ware" ist, wie Rohde sagte. "Man kann die Artikel dann nur noch unter großen Abschriften verkaufen." Rasch sei so die Liquidität aufgezehrt, um weiter in Vorleistung für die nächste Saison zu gehen. Große Probleme hätten beispielsweise auch der Spielzeughandel und die Sportartikelanbieter.
Rohde findet zwar grundsätzlich richtig, dass immer mehr Unternehmen ins Online-Geschäft einsteigen und ihre Waren über Social-Media-Kanäle oder Plattformen anbieten - ein "Heilsbringer" sei das angesichts hoher Retourenquoten und Versandkosten aber auch nicht. Die Umsatzausfälle ließen sich damit jedenfalls nicht annähernd auffangen. Um dem Handel etwas auf die Sprünge zu helfen, sollte es aus Rohdes Sicht auch in Hessen erlaubt werden, dass Kunden über persönliche Termine Geschäfte betreten und ihre Einkäufe vor Ort tätigen. Besonders für Produkte wie Kinderschuhe oder Brautmoden, bei denen es auf die genaue Passform ankomme, sei das aus Sicht Rohdes sinnvoll.
© dpa-infocom, dpa:210224-99-567457/3
dpa