Zuwendung ist jetzt besonders wichtig
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Die fehlenden Kontakte im Lockdown verlangen Trauernden noch mehr ab als sonst.
© Quelle: Foto: Thorsten Richter
Marburg. Da sitzt man auf der Bettkante, weiß selbst nicht mehr, wie lange schon, und starrt Löcher in die Luft. Man fühlt nichts, keinen Hunger, keinen Durst. Es ist nur so unsagbar still. So still, dass es weh tut.
Die Trauer überstülpt sämtliches Handeln, jede Motivation, und doch ist sie ein wichtiger Bestandteil, um ins Leben zurückzufinden. Vielleicht nicht heute und morgen, auch nicht nächste Woche, aber schon in absehbarer Zeit, selbst wenn sie immerwährender Begleiter sein wird, wird das Leben wieder Einzug halten. Eigentlich. Aber jetzt im Lockdown? Ist das Leben auch noch ausgeschlossen. Keine Kontakte, keine Umarmungen, kein Trost durch Ablenkung.
Diplom-Pädagogin und Trauerbegleiterin Gertrud Rücker, die zudem Leiterin der Koordination Trauerberatung beim Regionalverband Mittelhessen der Johanniter-Unfall-Hilfe ist, weiß, dass der Lockdown Trauernde noch einmal vor besondere Herausforderungen stellt. Zum einen die, die ganz aktuell einen wichtigen lieben Menschen, vielleicht den Lebenspartner verloren haben, aber auch die, die mittlerweile wieder bereit sind, sich dem Leben zu öffnen, aber kaum Möglichkeiten dazu finden. Und so sehr sich Menschen generell Nähe und Umarmungen wünschen, so sehr vermissen es auch Trauernde, sich einfach mal in einen haltenden Arm fallen lassen zu können.
Gertrud Rücker hatte schon reagiert und die Treffen von Trauernden in den Räumen der Johanniter in Marburg ausgelagert in Treffen zum Spaziergang mit anschließendem Kaffeetrinken. „Das wurde eigentlich sehr gut angenommen. Die Teilnehmer fanden auch dort zusammen, hörten zu oder unterhielten sich in kleinen Gruppen oder zu zweit und genossen das gemeinsame Naturerlebnis“, sagt Rücker. Doch damit ist wegen der Kontaktbeschränkung seit November auch Schluss.
Von Rückmeldungen von Teilnehmern nach dem ersten Lockdown weiß Gertud Rücker, was bei dem einen oder anderen jetzt gerade im zweiten Lockdown passiert. „Diejenigen, die keine direkte Familie im Haus oder in der Wohnung haben, werden isoliert, erfahren wenig bis keine Aufmerksamkeit, die sie jetzt eigentlich bräuchten, und werden dadurch zurückgeworfen.“
Andere leiden auch darunter, dass Beerdigungen nur im kleinen Kreis möglich waren, dass kaum jemand mit Abschied nehmen konnte, keine Umarmungen, keine Kondolenzbesuche erfolgen konnten.
Um so wichtiger wäre nun so ein Trauerspaziergang als Termin, als Ziel, weil er zwei Dinge bietet: einen Anlass, das Haus zu verlassen, und die Verlässlichkeit, sich dort geben zu dürfen, wie man sich gerade fühlt. Man darf trauern, mit anderen vielleicht auch weinen, aber ebenso Ablenkung und Kraft suchen, gemeinsam mal andere Themen anstoßen, durchatmen und gar lachen, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, weil man weiß, dass die anderen die Achterbahnfahrt der Gefühlswelt nur zu genau verstehen.
Rücker bedauert, dass auch der kommende Termin für einen Spaziergang am 10. Februar wegen der Corona-Vorgaben ausfallen muss. Doch sie will an diesem Tag präsent sein, eine Ansprechpartnerin sein, auch um einen Extra-Termin zum Reden auszumachen. „Natürlich habe ich für solche Dinge Sprechzeiten wie an anderen Tagen auch“, sagt Rücker. Aber vielleicht ist es gerade dieser Tag, an dem der Trauerspaziergang ausfällt, der Tag, an dem man zum Telefon greift und aktiv wird. Deshalb weist sie auf diesen Tag besonders hin. Und für Angehörige und Freunde von Trauernden hat Gertrud Rückert noch einen Vorschlag. „Wer der trauernden Person sagt, dass sie jederzeit anrufen kann, wenn sie Hilfe benötigt, sollte lieber selbst mal anrufen und nachfragen.“ Diese Geste werde dankbar aufgenommen, weil man dadurch viel mehr das Gefühl bekomme, nicht vergessen zu sein.
Das Beratungstelefon für Trauernde gibt es am Mittwoch, 10. Februar, von 9 bis 11 Uhr und von 14 bis 16 Uhr. Trauerbegleitung ist auch per Telefon, per E-Mail, per Video von dienstags bis donnerstags möglich. Kontakt: E-Mail: gertrud.ruecker@johanniter.de; Telefon: 0 64 21 / 96 56 25.
Von Götz Schaub
Petition des Bundesverbandes Trauerbegleitung
Der Bundesverband Trauerbegleitung ist in Deutschland der Fachverband für Trauerbegleitung und versteht sich als Ansprechpartner für Menschen in Situationen von Abschied und Trauer. Er fühlt sich verbunden mit allen Personen, Organisationen beziehungsweise Institutionen, die sich diesen Menschen und diesem Thema widmen. Am 22. März jährt sich der Tag des ersten Lockdowns. Aus diesem Anlass haben der Vorstand und Mitglieder des Bundesverbandes Trauerbegleitung, Expertinnen und Experten sowie Unterstützer einen offenen Brief formuliert und machen auf die gemeinsame Verantwortung gegenüber trauernden Menschen in Zeiten von Corona und darüber hinaus aufmerksam. Die Petition Trauer ist systemrelevant! ist im Internet unter https://www.openpetition.de/petition/online/trauer-ist -systemrelevant zu finden.