Virus-Bekämpfung

Droht uns wegen Corona Massenüberwachung?

Matthias Pfützner, Politischer Geschäftsführer der Piratenpartei Hessen warnt im OP-Interview davor, dass die Corona-Bekämpfung in Deutschland - Stichwort Handydaten-Auswertung - zur Überwachung von Bürgern genutzt werden könnte.

Matthias Pfützner, Politischer Geschäftsführer der Piratenpartei Hessen warnt im OP-Interview davor, dass die Corona-Bekämpfung in Deutschland - Stichwort Handydaten-Auswertung - zur Überwachung von Bürgern genutzt werden könnte.

Marburg. Die Piratenpartei hat sich einst einen Namen als Stimme der Internet- und Freiheitsrechte sowie des Datenschutz gemacht. Im OP-Interview warnt Matthias Pfützner, Politischer Geschäftsführer der Hessen-Piraten angesichts der Corona-Pandemie und deren Bekämpfung vor der Etablierung staatlicher Massenüberwachung.

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OP: Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat sich verwundert darüber gezeigt, dass so viele Bürger bei der Corona-Bekämpfung nach immer härteren Maßnahmen rufen. Teilen Sie die Irritation?

Matthias Pfützner: Es gibt seltsame Forderungen einiger Bürger. Wir erleben ja gerade schon in der Bundesrepublik noch nie dagewesene Beschneidungen der Freiheiten. Der Eindruck mancher, dass sich viele Bürger nicht an Vorgaben halten oder nicht gehalten haben, scheint den Wunsch zu wecken, dass ein strenger Staat durchregiert. Aber die von der Regierung gewählten Mittel sind so wie sie sind schon schwierig genug, immer weiterzugehen und letztlich so zu handeln wie totalitäre Systeme á la China, sollte nicht der Weg einer Demokratie sein. Spahns Irritation ist jedoch noch aus einem anderen Grund verwunderlich: Die Regierung ist es ja selbst, die Grundrechte massiv einschränkt und die Büchse der Pandora geöffnet hat. Diese Büchse nicht zu weit und nicht zu lange zu öffnen, ist entscheidend, damit die freiheitliche Grundordnung nicht in Gefahr gerät. Es ist ja völlig nachvollziehbar und nötig, dass man eine Ausbreitung des Corona-Virus so gut wie möglich kontrollieren will. Aber die Mittel dazu sind nun mal nicht ohne –und einige sind nicht ungefährlich für unsere offene Gesellschaft.

OP: Das Robert-Koch-Institut bekommt anonymisierte Handydaten für die Auswertung von Bewegungsprofilen, ein Infektionsschutzgesetz kann zur Notstandsgesetzgebung dienen und es herrscht eine Devise „Alles, was gegen Corona nützlich ist, ist auch möglich“. Wie viel Rationalität verträgt eine offene Gesellschaft, rechtfertigen die Mittel immer den Zweck?

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Pfützner: Auch eine Pandemie ist keine Ausrede für Massenüberwachung. Die Folgen einer langfristigen Etablierung von Handy-Tracking, vermehrter Nutzung personenbezogener Daten unter anderem für Bewegungsprofile sind unvorhersehbar und auch in Krisenzeiten nicht gutzuheißen. Sozialkontakte zu minimieren, wie es seit einer Weile geschieht, dämmt die Virus-Ausbreitung ein – das ist zielführend, technische Lösungen nicht. Politik und Behörden sollten nicht der Versuchung erliegen, aus den richtigen Gründen, also Gesundheitsschutz, das Falsche zu tun und Corona für andere Zwecke, für die Überwachung der Bürger zu nutzen. Methoden von falschen Vorbildern sorgen langfristig für mehr Gefahren als Sicherheit.

OP: Auch die Piraten argumentieren gerne mit Experten-Ergebnissen als Leitfaden für politische Entscheidungen. Aber was, wenn wissenschaftliche Expertise, wenn manche Forscher wie jetzt bei Corona das Grundgesetz, zumindest einige ihm zugrunde liegende Werte, eher stiefmütterlich behandeln?

Pfützner: Eine gewisse Gefahr kann von so einer Situation tatsächlich ausgehen. Jedenfalls dann, wenn es kein Regulativ gibt, wenn nur eine Expertengruppe gehört wird und deren Ergebnisse und Empfehlungen für andere kaum überprüfbar sind. Bei Corona geht es gerade um das höchste Gut – die Gesundheit eines jeden oder zumindest von bestimmten Gruppen. Wenn die Grundrechts-Einschränkungen für das Kollektiv gut sind, dann endet die Freiheit des Einzelnen eben dort, wo sie anderen schadet. Das ist ja auch der Grundrechts-Gedanke für das Zusammenleben. Es ist ein für die Politik aktuell eigentlich kaum zu schaffender Spagat. Entscheidend ist, dass die für unser System und Selbstverständnis so wichtigen Rechte nur für so ein Desaster-Szenario wie dieses und das zeitlich eng begrenzt eingeschränkt werden. All zu lange darf ein Ausnahmezustand nicht dauern. Obwohl wir gerade viel lernen.

OP: Obwohl vieles dauerhaft Schaden zu nehmen droht –von Wirtschaftskraft und Arbeitsplätzen bis hin zur Gesellschaftsordnung – soll also Optimismus herrschen? Dürfte vielen Facharbeitern schwerfallen, wenn Folgen des „Lockdowns“ in deren Erwerbsleben ankommen.

Pfützner: Ich denke schon, dass die Corona-Folgen unabhängig aller Staatshilfen einzelne Bevölkerungsgruppen wirtschaftlich, finanziell schwer treffen werden. Ein bedingungsloses Grundeinkommen, das die Härten abfangen könnte, wäre genau deshalb angesagt. Wir sind, nicht zuletzt nach der Klima-Debatte, an einem Punkt der Geschichte, wo Veränderung nötig ist. Wir sollten Corona als Einschnitt für unser Handeln verstehen, beginnen, die Chancen, die positiven Aspekte zu betonen. Es ist ein Wandlungsprozess in Gang gekommen, der unaufhaltbar ist und in dem es auch nicht nur Verlierer gibt. Wir sehen es doch schon: Es geht weiter, viele können weiter arbeiten und Firmen produzieren plötzlich andere als ihre ursprünglichen Waren. Entscheidend ist, wie wir die aktuellen Alltagslehren in der Nach-Pandemie-Zeit politisch, wirtschaftlich, gesellschaftlich umsetzen. Technik kann und wird nicht alles lösen, aber sie hilft dabei, und zwar jetzt schon: Home-Office als neue Regel für Bürojobs statt Pendeln in Großraumbüros –das wäre schon mal, nicht nur für die Umwelt, viel wert.

OP

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