„Können unser Leben nicht nach Inzidenzwerten ausrichten“
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Seit dem 2. November muss wegen dem Lockdown und hoher Inzidenzwerte die Gastronomie geschlossen bleiben.
© Quelle: Sven Simon/Picture Alliance
Marburg. „Wir können nicht unser ganzes Leben an Inzidenzwerten ausrichten“: Wolfgang Bosbach, ehemaliger CDU-Spitzenpolitiker, hat im Wahlkampf-Gespräch mit OB-Kandidat Dirk Bamberger die deutsche Corona-Politik kritisiert. „Es heißt immer, wir müssen durchhalten und wir müssen die Zähne zusammenbeißen. Aber wer ist denn dieses Wir?
Es gibt sehr viele Menschen, die von Lockdown, von wirtschaftlichen Konsequenzen gar nicht betroffen sind, die ihr Gehalt weiter bekommen werden. Millionen Menschen wissen aber nicht, ob und wie es weitergeht, nicht nur Messebauer und Kulturschaffende,“ sagt der 68-Jährige und verweist dabei auf „Boom-Branchen“ und den Öffentlichen Dienst.
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Wolfgang Bosbach, CDU-Politiker.
© Quelle: Archiv
In den vergangenen drei Monaten sei bei ihm bezogen auf das Corona-Krisenmanagement der Bundesregierung „die Stimmung gekippt“, er mache „hinter immer mehr Entscheidungen ein dickes Fragezeichen“ – nicht zuletzt wegen der von ihm als „Impftragödie“ bezeichnete Vakzin-Beschaffung. Die Politik gebe den Bürgern keine Perspektive, es sei Hoffnungslosigkeit eingekehrt. „Plötzlich heißt es: Achtung, Mutanten.“
Politik müsse es leisten, „die Not der Menschen zu kennen“, sagt er und kritisiert den Zeitverzug bei den Wirtschaftshilfen. Es gebe neben oder ausgehend von wirtschaftlichen auch Sorgen um die soziale Spaltung der Gesellschaft. Querdenker auf der einen, Zero-Covid-Vertreter auf der anderen Seite seien kleine, aber laute Strömungen, die eine immer größer werde Gruppe überlagern würden: „Viele Menschen stellen einfach die Sinnfrage. Sie fordern eine wissenschaftliche Belastbarkeit der Maßnahmen, verlangen nach Evidenz “, sagt Bosbach.
Kritik an Kanzlerin: Hört auf einseitiges Beratergremium
Verantwortung dafür trage die Regierung, allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). „Mein Beratergremium wäre jedenfalls nicht mit Wissenschaftlern besetzt, die meine Meinung haben, mich und auch sich gegenseitig bestätigen. Da gehören Alternativ-Denker rein, die eine Meinungsvielfalt erzeugen, Meinungsbildung und somit politische Entscheidung ermöglichen. Nichts ist alternativlos“, sagt er. Grundsätzlich sei „Politik keine Mathematik, in der zwei plus zwei automatisch vier ergibt. Es ist ein Austausch von Argumenten“, sagt er. Andernfalls schwinde das Vertrauen in die Politik. „Wie im Privatleben auch, ist Vertrauen in Minuten verspielt und es dauert Jahre, um es zurückzugewinnen.“
Bosbachs Ausblick: „Die Welt wird sich nach Corona nicht viel anders drehen. Viel Geliebtes wird wiederkommen, nur nicht alles und so manches wird ins Internet abwandern.“ Was sich ändern müsse, seien Lieferketten – es müsse mehr Warenproduktion in Deutschland stattfinden.
OP