Eine ganze Branche am Boden
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Timo Gercke aus Hannover steht mit seiner mobilen Hantelbank auf dem Parkplatz am Georg-Gaßmann-Stadion und trainiert.
© Quelle: Thorsten Richter
Marburg. Neujahrsvorsätze – viele Menschen haben welche. Einer davon ist Sport – doch das ist zurzeit nur noch im Freien möglich.
Mit der Verabschiedung des „Lockdown light“ sind auch in Fitness- und Gesundheitsstudios wieder die Lichter aus – bis heute.
Doch wo im ersten Lockdown im März 2020 noch Verständnis aufgebracht wurde, tritt nun Enttäuschung und Wut an die Stelle. Enttäuscht ist auch Sascha Mößinger, der das MC Shape-Fitnessstudio in Stadtallendorf betreibt. Ihm fehle das Vertrauen in die Regierung.
Der 28-Jährige kritisiert, dass nach dem ersten Lockdown Vorgaben für eine Wiedereröffnung gemacht worden seien, die die Studios umgesetzt haben. Im zweiten Lockdown seien jedoch diese Unternehmen als erstes geschlossen worden. „Es sind Branchen, in denen vermutlich am meisten in Hygienekonzepte investiert wurde“, sagt Mößinger und beklagt, dass es keine Kommunikation mit den betroffenen Branchen gab.
Mößinger fordert eine bessere Kommunikation
Der Betreiber des Studios in Stadtallendorf fordert einen Austausch mit den Fitness- und Gesundheitsstudios, um diese als „Verbündete ins Boot zu holen“ und ist weiter der Ansicht: „Die Bevölkerung kann sich durch ein stärkeres Immunsystem besser schützen. Das kommt auch dem Gesundheitssystem zugute, was belastet wird, wenn mehr Leute krank sind.“
Des Weiteren fordert der 28-Jährige, es solle regionale Unterschiede geben, wenn es darum geht, wann man Fitnessstudios wieder öffnet, da einige Landkreise einen niedrigeren Inzidenzwert aufweisen als andere. Auch Lena Happel-Ellerich, Geschäftsführerin des Vita-Fitness Marburg, hätte sich gewünscht, dass die Landkreise und Kommunen mehr Vertrauen durch die Landesregierung erhalten. „Mir fehlt ein Stufenplan. Ich frage mich jetzt nämlich, wer als erste Branche wieder öffnen darf. Oder ob es einen Unterschied macht, wenn man eine Inzidenz von unter 50 erreicht“, sagt Happel-Ellerich.
Sie treibt die Sorge um, ob die Mitglieder nach Wiedereröffnung wiederkommen. „Ich hoffe, dass die Leute keine Angst haben, zu uns zurückzukommen. Denn Studien haben gezeigt, dass in der Fitness- und Gesundheitsbranche kein Infektionsherd besteht“, sagt die Marburger Geschäftsführerin.
Aufgrund der Schließung hat das Familienunternehmen einen anderen Weg gefunden, um mit den Mitgliedern in Verbindung zu bleiben. „Wir bieten Re-Checks an, bei denen Mitglieder ein Feedback darauf bekommen können, was sie noch zu Hause tun könnten. Die Ergebnisse gibt es dann per Post oder Mail“, erzählt die Geschäftsführerin des Vita-Fitness. Die Loyalität der Mitglieder gegenüber der Fitness- und Gesundheitsstudios zeigte sich, als die Unternehmen die Mitgliederbeiträge einzogen.
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Nach dem ersten Lockdown war Training in Fitness- und Gesundheitsstudios kurzzeitig wieder erlaubt. Seit Anfang November des vergangenen ist das Training nur im Freien
© Quelle: Heiko Becker/HMB Media
„Es haben zwischen 85 und 90 Prozent der Mitglieder Verständnis dafür aufgebracht. Wir haben es offen kommuniziert, und deutlich gemacht, dass wir keine andere Möglichkeit haben“, erklärt Sascha Mößinger. Um die Bindung der Mitglieder nicht zu verlieren, werden Online-Kurse und Ernährungsseminare angeboten. Auch der Inhaber des Fitness- und Gesundheitszentrums Fitness-Point in Gladenbach, Frank Debus, hat mit Existenzsorgen und Zukunftsängsten zu kämpfen.
Verständnisvolle Mitglieder
Sein Studio bietet ebenso wie die anderen beiden Online-Kurse für die Mitglieder an. Vita-Fitness zog im Gegensatz zu MC Shape lediglich in einem Monat des vergangenen Jahres die Mitgliederbeiträge ein. „Wir haben mitgeteilt, dass wir im April die Beiträge einziehen werden. 95 Prozent haben das auch akzeptiert, der Rest ist in einen Time Stop (der Vertrag ruht) übergegangen, ehe alle in den Stop gegangen sind“, berichtet Happel-Ellerich.
Ob die Mitglieder nach dem Lockdown in die Studios zurückkehren werden, weiß aktuell niemand. Jedoch stieg zuletzt die Nachfrage an Sportgeräten für Zuhause. Die Marburger Unternehmerin erwartet dadurch aber keinen Nachteil für Fitness- und Gesundheitsstudios. „Im ersten Lockdown hatte ich noch größere Befürchtungen. Also, dass die Menschen andere Wege finden, sich fit zu halten. Jetzt ist die Sorge aber nicht mehr da, denn bei vielen steht der gesellschaftliche Aspekt im Vordergrund“, sagt die Geschäftsführerin.
Auch der Stadtallendorfer Betreiber Mößinger sorgt sich nicht um eine mögliche Abwanderung der Mitglieder: „Das Fitnessstudio ist eine Art sozialer Treffpunkt. Deswegen werden viele Mitglieder keine Freude am alleine Trainieren haben“, stellt der 28-Jährige fest. Diesen Treffpunkt gibt es für die Mitglieder aktuell nicht.
Keine Neu-Mitglieder in den Fitnessstudios
Aber: Auch neue potenzielle Kunden schließen keine Mitgliedschaften ab. „Der Januar ist unser umsatzstärkster Monat. Wir schließen da zwischen zwölf und 15 Prozent aller Mitgliedschaften des Jahres ab. Sonst sind das um die 100 neuen Mitglieder, die sich im Januar anmelden. Diese fehlenden monatlichen Mitglieder können wir nicht auffangen“, erklärt Mößinger.
Diesbezüglich spricht auch Lena Happel-Ellerich von einer „verzwickten Situation“ und erklärt: „Wir haben keine Fluktuation. Eigentlich ist es ein Kreislauf, dass wir mit den neuen Mitgliedern in den Monaten Januar und Februar die Kündigungen des Jahres ausgleichen können.“ Eine ähnliche Situation erlebt auch Frank Debus: „Es ist schmerzhaft, dass wir nach dem vergangen Jahr nun auch dieses Jahr einige umsatzstarke Monate verlieren.“
Dieses Problem könne nur mit dem Zusammenhalt in der Branche gelöst werden, findet Happel-Ellerich: „Es geht nur zusammen. Die Politik muss verstehen, dass wir ein Teil der Lösung sind und nicht das Problem selbst.“ Trotz all der Ungewissheit blicken die Geschäftsführer positiv in die Zukunft. Mit der Hoffnung, dass sie ihre Fitness- und Gesundheitsstudios bald wieder für ihre Mitglieder öffnen können.
OP