Der bange Weg zum Impftermin
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/H37MWFD2NRCPCZWUS3K7N5K65E.jpg)
Eine Mitarbeiterin eines Klinikums zieht eine Spritze mit dem Impfstoff von Moderna gegen Covid-19 auf.
© Quelle: Symbolfoto: Federico Gambarini/dpa
Marburg. Heinrich Jung ist das, was man einen „silver surfer“ nennt. Ein Mann, der ins Idealbild der Menschen passt, die auch im rüstigen Alter noch ziemlich am Puls der technischen Entwicklung sind und vom Computer bis zum Smartphone alles bedienen, sich im Internet bewegen können. „Man muss, so gut es geht, mit der Zeit gehen“, sagt er. Für den 80 Jahre alten Goßfeldener ist es also keine große Sache, im Internet einen Impftermin zu vereinbaren.
Sollte man meinen. Aber einen Termin im Gießener Impfzentrum zu bekommen, ist nicht einfach. Im Gegenteil: Der Zeitaufwand ist groß und die Hängepartie lang. „Ich habe tagelang immer wieder ewig vor dem PC gesessen und komme keinen Schritt weiter. Es ist ein aufwendiger Kampf“, sagt Jung.
Nicht nur war und ist der Ansturm auf das Buchungssystem für die Corona-Impfung in Hessen so groß – mehr als 400 000 Menschen, die 80 Jahre und älter sind, kommen aktuell für eine Terminvereinbarung infrage –, dass das System zusammenbrach und heruntergefahren wurde. Vielmehr ist selbst dann, wenn der Termin technisch zum Greifen nahe scheint, er noch weit weg.
Anklicken, um was für eine Person es sich handelt. Danach eine Maske mit den persönlichen Daten ausfüllen und anschließend ein Passwort auswählen und eine Notfallperson benennen. Zwischendurch gebe es immer wieder Fehlermeldungen, immer wieder werfe das System einen raus. Resultat: Alles von Anfang, immer und immer wieder. „Das ist ein nervendes Prozedere.“
Und das alles nicht etwa, um einen Termin zu bekommen. Nein, das ist der Weg bis zur Vorgangskennung. In Jungs Fall besteht sie aus einem A mit acht weiteren Ziffern. Ein Link in einer E-Mail führt dann zum Impftermin – doch da ist Jung, wie Tausende aus Marburg-Biedenkopf, noch nicht angekommen. Das System sei entweder überlastet, oder es komme die Info, dass es – vor allem wegen der zu geringen Impfstoff-Verfügbarkeit – derzeit gar keine Termine gibt.
Werden Anmelde-Daten nach 14 Tagen gelöscht?
Horst Zimmermann (86) aus Cappel erlebt es ähnlich wie Jung: „Internet, Telefon – egal wann, egal wie, egal wie sehr man sich bemüht: Man kommt erst mühsam, dann gar nicht voran. Es gibt keinen Termin und nicht mal einen Zeithorizont“, sagt er. „Außer: Sorry, es ist kein Impfstoff und auch kein Termin für Sie da, gibt es nichts.“ Seit Anfang vergangener Woche habe er außer der Vorgangskennung nichts erreicht.
Und die Uhr tickt. Denn: Wie auch Jung hat er für die Terminfindung jetzt noch rund eine Woche Zeit. Denn dann – so steht es jedenfalls in der offiziellen E-Mail, wohl wegen Datenschutzbestimmungen – werden die mühsam eingetragenen Daten selbst für die Vorgangskennung gelöscht. Resultat: Die Chance, das Anti-Corona-Vakzin zu erhalten, rückt erneut in die Ferne.
„Für den Fall, dass Sie keinen Termin vereinbaren, werden Ihre Daten nach 14 Tagen gelöscht“, steht in der Impfservice-Mail. Jung: „Ja, wie soll ich denn bitte einen Termin vereinbaren, wenn das System mir partout keinen gibt?“ Zimmermann: „In der Praxis ist das Impf-Vorgehen ein absolutes Desaster.“
Ein Grund zumindest für die technischen Probleme scheint zu sein, dass sich die Hessische Landesregierung dafür entschieden hat, die Anmeldungen nicht wie andere Bundesländer allein über die Seite impfterminservice.de abzuwickeln. Das Portal wird betrieben von KV Digital, einem Tochterunternehmen der Kassenärztlichen Vereinigung (KV).
Doch wer in Hessen auf impfterminservice.de geht, wird auf eine andere Seite weitergeleitet. Dabei kommt eine Softwareplattform einer Darmstädter Firma zum Einsatz.
Diese sieht einen direkten Abgleich der Angaben mit dem Melderegister vor: Name, Adresse, Geburtsdatum. Mit dieser eigenen Lösung will Hessen schon beim Anmelden möglichst zweifelsfrei klären, dass die betroffene Person tatsächlich existiert und für einen Termin in dieser frühen Phase der Impfkampagne berechtigt ist, also etwa über 80 Jahre alt oder in einem Pflegeheim oder einer Intensivstation arbeitet.
Für Zimmermann ist das – wie auch für Teile der Landespolitik – unnötig und „Verwaltungsidiotie“, da ohnehin mit dem Personalausweis geklärt werde, ob und wann jemand das Vakzin bekomme.
In Marburg auf dem Messeplatz steht zudem seit Mitte Dezember das Impfzentrum. Nicht nur Jung hält es für „widersinnig“, bis nach Gießen, nach Heuchelheim fahren zu müssen. Denn auch hier gilt: Jung selbst ist noch mobil, kann sicher Auto fahren und den Weg ohne größere Probleme antreten. Aber andere jenseits der 80?
Antworten zum Impfstart in Gießen
Wie viele Menschen sollen im Gießener Impfzentrum pro Tag geimpft werden? Wie viel Impfstoff gibt es zum Start des Impfzentrums? Wann wird es wieder Impftermine geben? Wie läuft es vor Ort in Heuchelheim ab?
Der Landkreis Gießen teilt mit, dass die maximale Kapazität des Impfzentrums bei 1 350 Impfungen pro Tag liegt. Wegen der knappen Impfstoff-Mengen werden zunächst täglich 495 Impfungen vorgenommen. Das Zentrum ist zuständig für alle Impfberechtigten aus Marburg-Biedenkopf, Gießen, Wetterau- und Lahn-Dill-Kreis.
3 430 Dosen pro Woche stehen bis Monatsende zur Verfügung.
Das ist noch unklar. Denn erst, wenn neuer Impfstoff geliefert wird, werden neue Termine vergeben. Der Liefertermin für neue Dosen ist noch unbekannt. Die hessenweit 60 000 vergebenen Termine sind bis zum 12. März vergeben.
Wer zum Impfen kommt, braucht einen Nachweis über seine Impfberechtigung. Bei Senioren reicht dabei der Personalausweis. Wer chronische Erkrankungen hat, benötigt einen entsprechenden ärztlichen Nachweis. Ist man vor Ort angemeldet, gibt es vorerst drei „Impfbahnen“, die jeweils im Zweischicht-Betrieb arbeiten. Je Schicht und Impfbahn arbeiten ein Arzt, eine Verwaltungskraft an der Anmeldung und drei medizinische Fachangestellte. Daneben sind Sozialarbeiter, Sanitäter, mehrere Security- und Apothekenkräfte und Logistikpersonal im Einsatz.