Straßenwahlkampf in Zeiten von Corona
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Kein Entkommen bei einer Kopfwäsche: Während Peter Kremer Wahlkampf betreibt, will Roberto Rink den amtierenden Bürgermeister auf eine Zusage für einen Krippenplatz festnageln.
© Quelle: Gianfranco Fain
Gladenbach. Peter Kremer öffnet den Kofferraum seines Wagens, packt Flyer, Teebeutel und Tütchen mit Gummibärchen in eine Tasche. Werbeartikel für den Wahlkampf.
Er werde an diesem Samstag öfter auf seinen Rundgängen zurückkehren, um seine Tasche aufzufüllen, meint der amtierende Bürgermeister, schultert die Tasche und geht los.
Vom Parkplatz des Kirchbergcenters führt ihn sein Weg in die fast menschenleere Bahnhofstraße. Zwei Kinder erhalten eine Tüte Gummibärchen dann geht’s weiter, dorthin, wo Kremer die Wähler vermutet. „Wie angekündigt“, begrüßt Linda Wiegand den Bürgermeisterkandidaten in ihrem Fotostudio.
Gemeint ist, dass es am 22. November zur Stichwahl kommt. Von ehemals vier Bewerbern sind nur Kremer und Robert Wolfgram übrig. Die angebotenen Werbeartikel nimmt Linda Wiegand erst an, als Kremer darauf hinweist, dass der Flyer zur Stichwahl aktualisiert ist.
Gegenwind im Sportgeschäft
Zurück auf die Straße und rein ins Kaufhaus Bellersheim. Auch dort spricht Kremer Menschen an, bringt Flyer, Teebeutel und Gummibärchen unter die Leute. Politische Gespräche gibt es keine. Aber Kremers Art kommt gut an. „Ich hätte sie gern gewählt, komme aber leider aus Dautphetal“, sagt eine Frau mittleren Alters und: „Wollen Sie die Sachen zurück?“
Vor dem Kaufhaus sprechen Karin und Wilfried Scholl Kremer Mut für die Stichwahl zu: „Alles andere wäre eine Überraschung.“ Im Sportgeschäft Adriansen gibt es erstmals Gegenwind für den amtierenden Bürgermeister. „Das Windrad verdirbt den ganzen Blick auf der Koppe“, schleudert ihm Peter Bellersheim entgegen und fügt an, er wisse, der Bürgermeister könne nichts dafür. „Ich will mich da nicht rausnehmen“, antwortet Kremer, „ich bin ja auch für Windkraft“. Woraufhin er noch zu hören bekommt, dass das Windrad nicht nur zu dicht an der Koppe, sondern auch zu nahe der Wanderwege stehen werde.
Kaum politische Fragen
Gegen 11.30 Uhr erreicht Kremer den Marktplatz. Die Parkplätze, an einem Samstag sonst immer gut genutzt, sind nicht einmal zu 50 Prozent belegt. Die Menschen bleiben zu Hause, ist aus dem Munde von Rainer Schmidt vom gleichnamigen Schuhhaus zu hören. „Die ersten drei Tage des neuerlichen Lockdowns waren eine Katastrophe!“
Kremer setzt seinen Wahlkampf in Zeiten von Corona fort. Vor allem die Eltern freuen sich wie ihre Kinder über die Gummibärchen, politische Fragen kommen nicht zum Tragen, eher Gespräche über den Ausgang des ersten Wahlgangs oder die „schockierend geringe Wahlbeteiligung“. Die Themenarmut bekümmert Kremer nicht.
„Ich bin praktisch seit sechs Jahren jeden Tag im Wahlkampf“, sagt der 58-Jährige, der sich am heutigen Tage hauptsächlich präsentieren will. Während seiner Amtszeit werde er als Bürgermeister beim Gang durch die Kleinstadt praktisch jeden Tag von Menschen auf Themen angesprochen, die ihnen wichtig sind.
Was wird aus der Kinderkrippe?
Doch dann verwickelt ihn ein Leser doch noch in ein längeres Gespräch. Wo? Natürlich im Friseursalon. „Herr Bürgermeister, bekommen wir denn noch eine Kinderkrippe?“, fragt Roberto Rink. Das Thema Kinderbetreuung beschäftigt den Gladenbacher offensichtlich sehr, denn auch die Haarwäsche hält ihn nicht vom Nachfragen ab. Übernächstes Jahr sei „ein Platz fällig“.
Dass Rink offenbar langfristig plant, erheitert die weiteren Anwesenden und auch Kremer, sodass Rink erläutert: Die Geburt steht im Januar an, einen Namen für das Mädchen hätten er und seine Ehefrau auch schon, doch nach einem Jahr solle das Kind in die Betreuung. Im lockeren Ton versucht es Rink weiter. Doch so sehr er dem Bürgermeister eine „mündliche Zusage unter Zeugen“ entlocken will – er erhält sie nicht. Dafür ist ein Bürgermeister nicht zuständig.
Vom Friseursalon geht es wieder in Richtung Parkplatz. Die Werbeaktion ist für dieses Wochenende beendet. Die Tasche mit dem Werbematerial ist noch halb voll.