Kinder – die wahren Corona-Helden
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Lehrerin Susanne Linnartz sitzt an ihrem Tisch hinter einer Plexiglasscheibe.
© Quelle: Fotos: Nadine Weigel
Amöneburg. Konzentriert malt Max das Monster aus. Es ist rund und sieht ein bisschen aus wie ein Coronavirus. Max ist sieben Jahre alt und gehört zu den rund 20 Kindern, die in die Notbetreuung der Grundschule Amöneburg gehen. Es ist 11 Uhr und das bedeutet: Kunst bei Frau Linnartz. Fünf Schülerinnen und Schüler sitzen weit verteilt im Klassenraum an ihren Tischen. Max trägt eine Maske. „Du kannst die Maske am Tisch ruhig absetzen, wenn du willst“, sagt Frau Linnartz. Der Siebenjährige nimmt sich die selbstgenähte Stoffmaske, auf der Haie abgedruckt sind, vom Gesicht und lächelt. „Die merk’ ich meistens gar nicht mehr“, sagt er und geht nach vorne, um sein Ölbild Frau Linnartz zu zeigen. Die 55-jährige Lehrerin sitzt an ihrem Tisch hinter einer Plexiglasscheibe und strahlt. „Das hast du wirklich toll gemacht“, lobt sie.
Hinter Susanne Linnartz und dem Kollegium der Grundschule Amöneburg liegen anstrengende Wochen. Die Corona-Pandemie hat die ganze Schule vor große Herausforderungen gestellt: „Die größte war wohl, plötzlich Distanz zu den Kindern in der Notbetreuung halten und ständig die Hygieneregeln beachten zu müssen“, sagt Schulleiterin Christine Ehrlich.
Das sieht auch Linnartz so. Am Anfang seien auch die Notbetreuungskinder sehr bedrückt gewesen, weil sie merkten, dass Schule plötzlich so anders war. Nach einigen Wochen hätten sich aber alle „eingegrooved“. Schulleiterin Ehrlich ist begeistert, wie hervorragend die Kinder mit den neuen Abläufen und Regelungen umgegangen seien. Maske tragen, das hätten viele als spannend empfunden. Spielerisch habe man das mit den Hygieneregeln und den 1,5 Metern Abstand erklärt. „Alle wissen, dass das gut drei Schritte sind, die sie voneinander weg stehen müssen“, so Ehrlich, die aber auch betont, dass die Kinder eben immer wieder daran erinnert werden müssen.
Ab Montag sollen nun auch wieder Viertklässler regulär in die Schule zurückkehren. Dagegen hatte eine Schülerin aus Frankfurt am Verwaltungsgerichtshof geklagt und sich auf das Infektionsschutzgesetz berufen. Seit Freitag ist es aber nun endgültig: Die Schülerin hatte ihre Klage kurzfristig zurückgezogen, und so dürfen nun alle Viertklässler ab Montag zurück in die Schule.
Amöneburgs Schulleiterin begrüßt das. Die Erfahrung mit den Kindern in der Notbetreuung habe gezeigt, dass jedes Kind wieder gerne in die Schule komme. „Vor allem für die Viertklässler, die jetzt vor dem Ende ihrer Grundschulzeit stehen, ist es wichtig, dass sie noch einmal kommen können“, betont Ehrlich. Denn ohne noch einmal den Klassenzusammenhalt zu spüren und die Lehrkraft zu sehen, wäre es sonst ein „ganz herber Abschied“, weiß sie.
Für Lehrerin Susanne Linnartz sind die Schülerinnen und Schüler ohnehin die Helden der Corona-Krise. „Sie haben die letzten Wochen sehr viel aushalten müssen. Es ist sehr ungewohnt, plötzlich nicht mehr in die Schule zu dürfen. Sie haben das alle sehr tapfer gemacht“, findet sie. Mit ihren Schützlingen, die zu Hause sind, hat die Lehrerin über Handy regen Kontakt gehalten. „Viele von ihnen sind sehr kreativ mit der Situation umgegangen.“ Über einen Messengerdienst haben die Schülerinnen und Schüler ihre Hausarbeiten gezeigt oder kleine Videos gedreht und sie dann in die Gruppe gestellt. Das hat zum einen den Zusammenhalt gefördert, zum anderen traten bei einigen Kindern auch ganz neue Talente zum Vorschein.
Der kleine Michel zum Beispiel avancierte zum begeisterten Naturfilm-Moderator, der euphorisch über Buntsandstein referierte oder zeigte, wo Maden unter einer Baumrinde leben. „Auch die Kinder in der Notbetreuung haben ganz neue, kreative Wege gefunden, sich auszudrücken und auch die Corona-Krise zu verarbeiten“, freut sich die Pädagogin. Wie zum Beispiel Paul, der in einer Bilderreihe gemalt hat, wie zwei Freunde das Corona-Virus mit Seife bekämpfen.
Aber nicht allen Kindern, die jetzt seit mehr als acht Wochen zu Hause sind, tut der digitale Kontakt übers Handy gut. „Einige sind traurig und weinen dann auch“, beschreibt Linnartz die kindliche Sehnsucht nach Schule, Lehrerin sowie Klassenkameradinnen und Kameraden.
Für die Amöneburger ist deshalb klar, dass eine Rückkehr an die Schule für Kinder aller Altersklassen wichtig ist. Sie wissen aber auch, dass dies für sie noch mehr Organisation bedeutet: Klassen müssen geteilt und Unterricht muss tageweise im Schichtsystem organisiert werden. Auch in Amöneburg gibt es Lehrer, die zur Corona-Risiko-Gruppe gehören. Wie in allen hessischen Schulen verschärft sich damit auch in Amöneburg die personelle Situation. Die Viertklässler, die am Montag starten, werden laut hessischem Kultusministerium zunächst 20 Stunden in der Woche unterrichtet, allerdings nur für zwei Wochen. Wenn am 2. Juni die jüngeren Schüler kommen, wird der Präsenzunterricht auch für Viertklässler auf sechs Wochenstunden begrenzt.
Für alle wird Schule dann anders sein. Mit Masken, Markierungen auf den Böden, Einbahnstraßen in den Fluren. Die Kinder dürfen sich nicht umarmen, müssen Abstand zueinander und zu den Lehrerinnen halten. Das Gute in Amöneburg: Die Kinder in der Notbetreuung wissen nun schon einmal, wie das funktioniert, und können so als gute Beispiele vorangehen.
OP