Kriminalität

Gedenken und Solidarität zum Jahrestag des Hanau-Anschlags

Der Musiker Konstantin Wecker.

Der Musiker Konstantin Wecker.

Hanau/Berlin. Zum Jahrestag des rassistisch motivierten Anschlags von Hanau an diesem Freitag haben Organisationen aus Hessen und ganz Deutschland zu einem entschiedenen Eintreten gegen Rassismus und Rechtsextremismus aufgerufen. Die Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) und der Zentralrat der Juden mahnten am Donnerstag nachhaltige Unterstützung für die Hinterbliebenen der Opfer an. "Denn für Betroffene ist Hanau potenziell immer (noch) und überall", sagte der TGD-Bundesvorsitzende, Atila Karabörklü. Rechtsextremismus und Rassismus würden auf politischer Ebene mittlerweile zwar ernster genommen - aber sie hätten immer noch einen zu geringen Stellenwert in Deutschland.

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"Viele Betroffene leiden noch heute unter den Spätfolgen des Anschlags. Ihnen gilt unsere Solidarität und unser Mitgefühl", sagte der Präsident des Zentralrates der Juden, Josef Schuster. Er forderte konkrete Maßnahmen gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus.

Am 19. Februar vergangenen Jahres hatte der Deutsche Tobias R. in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven getötet. Zuvor hatte der Mann Pamphlete und Videos mit Verschwörungstheorien und rassistischen Ansichten im Internet veröffentlicht.

Der Opferbeauftragte der Bundesregierung, Edgar Franke (SPD), forderte weitere Aufklärung ein. "Die Beantwortung der quälenden Fragen der Hinterbliebenen an die hessischen Behörden nach nicht funktionierenden Notrufen oder der Waffenerlaubnis des vor der Tat schon lange auffälligen Täters ist überfällig." Insgesamt 42 Betroffene hätten vom Bund bislang Soforthilfen von rund 1,2 Millionen Euro erhalten. Weitere Unterstützung sei möglich, so das Justizministerium. Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) erklärte, der allgegenwärtige Hass im Netz habe einen Nährboden für Gewalttaten geschaffen. Sie versprach: "Wir erhöhen den Verfolgungsdruck weiter und stärken die Sicherheitsbehörden."

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Die Vorsitzenden der Linkspartei, Bernd Riexinger und Katja Kipping, pochten ebenfalls auf Transparenz: "Wir, die Linke, unterstützen die Forderungen der Angehörigen nach der Aufklärung der Umstände dieser Morde", sagte Riexinger. Kipping erklärte: "Wie die Opfer und ihre Angehörigen alleine gelassen wurden ist beschämend."

CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak rief zu einem noch entschlosseneren Kampf gegen Rechtsextremismus auf. "Die Erinnerung an die Opfer von Hanau ist ein Auftrag an jeden Einzelnen in unserem Land, Rechtsextremismus, Hass und Hetze jeden Tag im Keim zu ersticken", sagte er der Deutschen Presse-Agentur.

Die Grünen-Fraktionschefs im Bundestag, Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter, vermissen eine zusammenhängende Gesamtstrategie. "Nach den vollmundigen Ankündigungen der Bundesregierung bleiben entschiedene Schritte in der Bekämpfung von rechtsextremer und rassistischer Gewalt nach wie vor aus." FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae forderte eine engere Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden im Kampf gegen rechtsextreme Netzwerke und entsprechendes Gedankengut. "Gerade im Internet muss eine Radikalisierung schneller erkannt und unterbunden werden."

In Wiesbaden gedachte Hessens Landtagspräsident Boris Rhein (CDU) der Opfer und sprach den Angehörigen der Ermordeten sein Mitgefühl aus. Er empfinde Zorn und tiefe Scham, sagte Rhein. Das Attentat sei "die Eskalation rassistisch und rechtsextremistisch motivierter Anschläge in Deutschland in jüngster Zeit".

Ein Bündnis verschiedener Organisationen forderte die Landesregierung zum Handeln auf. Es gelte, allen Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit entschieden entgegenzutreten und Bewegungen für Menschenrechte zu stärken. "Denn es verfestigt sich der Eindruck, dass die Landesregierung das Ausmaß von Rechtsextremismus und Rassismus weiterhin unterschätzt", hieß es in der Mitteilung des Bündnisses, dem sich unter anderem der der Hessische Flüchtlingsrat sowie die Bildungsstätte Anne Frank angeschlossen haben.

Enis Gülegen, Vorsitzender des Landesausländerbeirats, zeigte sich betroffen über ungeklärte Begleitumstände der Tat. "Der Polizeinotruf war überlastet und die Notrufzentrale in der Tatnacht unterbesetzt. Wäre dies anders gewesen, hätte der Täter womöglich gestoppt werden können. Die Landesregierung trägt eine Mitschuld an den Vorfällen." Versäumnisse sollten offen auf den Prüfstand gestellt und Konsequenzen gezogen werden.

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Derweil äußerte sich das zuständige Polizeipräsidium zum Umgang mit den Opferfamilien und Betroffenen nach dem Anschlag. Ergänzend zu Ermittlungen sei noch am Tatabend des 19. Februar 2020 ein Betroffenen-Informations-Zentrum (BIZ) als direkte Anlaufstelle für alle Betroffenen eingerichtet worden, erklärte der Präsident des Polizeipräsidiums Südosthessen, Eberhard Möller, auf Anfrage.

Den dort eingesetzten Beamten hätten die Migrationsbeauftragten des Polizeipräsidiums zur Seite gestanden. Auch fünf Seelsorger hätten die Betreuung der Betroffenen unterstützt. "Nachdem die gesicherten Informationen in Hinblick auf die Opfer vorlagen, überbrachten qualifizierte Mitarbeiter den Angehörigen die Todesnachrichten", so Möller.

Zuvor hatte die "Initiative 19. Februar Hanau", ein Zusammenschluss von Angehörigen mehrerer Anschlagsopfer, den Sicherheitskräften unter anderem Fehlverhalten in der Tatnacht vorgeworfen. Auch Ajla Kurtović, deren Bruder Hamza bei dem Anschlag getötet worden war, kritisierte vergangene Woche das Vorgehen der Polizei in der Tatnacht und erklärte, es habe bis heute kein Termin dazu mit der Polizei stattgefunden. So seien ihre Eltern, aber auch andere Angehörige, in der Tatnacht stundenlang "hingehalten" worden, bis dann erst am Folgetag um kurz nach 6.00 Uhr morgens eine Liste mit den Todesopfern verlesen worden sei.

© dpa-infocom, dpa:210218-99-497231/4

dpa

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