Wein hat Tradition in Marburg. Glauben sie nicht? Dann kennen sie Roland Leibl nicht. Seit mittlerweile 36 Jahren betreibt der gelernte Winzer das Weinlädele, oberhalb des Marktplatzes am Fuße der Schlosstreppe gelegen. Im Inneren des ehrwürdigen Hauses, dass die Stadt Marburg Ende der 70er-Jahre aufwendig umbauen ließ, gibt es mehr als 50 Sorten des edlen Tropfens im Ausschank.
Das Besondere: allesamt stammen aus Deutschland. „Wir brauchen uns vor niemandem zu verstecken. In den letzten Jahren hat sich einiges getan, was Qualität und Geschmack betrifft“, sagt Leibl. Eine jüngere Generation von Winzern habe dem deutschen Wein ein neues Antlitz verliehen.
Leibl selbst ist ein Weinfachmann, der den Beruf des Winzers auf einem Weingut im Rheingau erlernt hat. Deshalb dreht sich in seiner Gaststätte auch nach mehr als drei Jahrzehnten immer noch alles um den alkoholhaltigen Saft der Trauben. Wer im Weinlädele beispielsweise nach einem Bier fragt, wird mit einem Kopfschütteln bedacht. „Viele haben am Anfang gesagt, ohne Bier wird sich der Laden nicht halten können“, erinnert sich Leibl.
Dabei war es der ausdrückliche Wunsch der Marburger Bürger, eine reine Weinstube zu etablieren. Also erstellte der Bürgermeister Dr. Gerhard Pätzold Ende der 1970er eine entsprechende Ausschreibung, auf die sich Roland Leibl bewarb.
Zusammen mit zwei befreundeten Kollegen aus der Weinszene erhielt er den Zuschlag.
Anfang der 80er-Jahre gab es zunächst nur kulinarische Kleinigkeiten in der Stube. „Käse und Schinken zum Beispiel. Viele kalte Speisen. Alles, was eben zum Wein passt“, erklärt Leibl. Später habe er dann das Angebot der Küche erweitert.
Mittlerweile gibt es unter anderem schwäbische Maultaschen und Flammkuchen aus dem Backofen. Eines ist jedoch geblieben: „Der Wein steht im Mittelpunkt“, sagt Leibl. Alle Speisen sollen zu den angebotenen Weinen passen – nicht umgekehrt.
Eine Frage der Süße
Und wenn es draußen kälter wird, kommt noch eine ganz andere Spezialität hinzu: Winzerglühwein. Der wärmt die Gäste dann vor dem Haus an den Stehtischen, wo es im Sommer die Sonne tut. Der Vorteil für Leibl: die Terrasse kann sowohl bei warmen, als auch kalten Temperaturen genutzt werden. Was das Heißgetränk an sich betrifft, so steht Leibl auch dort für gehobene Qualität.
All denjenigen, die Glühwein selbst herstellen wollen, empfiehlt der Fachmann: „Nur das nehmen, was man auch selbst trinken würde. Dass muss dann auch kein super teurer Wein sein. Das ist wie beim Kochen. Da sollte ja auch das Ausgangsprodukt eine ordentliche Qualität haben. Der verwendete Wein sollte aber zumindest mild oder lieblich sein.“ Warum? „Weil zum Glühwein natürlich eine entsprechende Süße gehört“, erklärt Leibl.
Schon zu Zeiten der Römer hätten die Menschen versucht, den Wein durch die Zugabe von Süßungsmitteln überhaupt erst genießbar zu machen. Zum Beispiel durch das Hinzufügen von Honig.
Die Genießbarkeit ist heutzutage kein Problem mehr, deshalb sollte der ausgeschenkte Wein auch nicht nur nach Zucker schmecken, findet Leibl. Der Winzer und Gastronom verwendet deshalb gerne Traubensaft zum Süßen. Wenn es um das passende Verhältnis der Gewürze geht, rät Leibl „ruhig mal zu experimentieren“.
Angst, dass das Weinlädele, das bei voller Besetzung etwa 80 Gästen Platz bietet, einmal schließen muss, hat Leibl nicht. „Ich kann es mir nicht vorstellen, die Tür einfach zu schließen“, sagt er mit einem Lächeln in Richtung seiner Tochter Antonia.
Die 24-Jährige ist die Zukunft des Familienuntenehmens. Schon jetzt steht sie ihrem Vater täglich zur Seite. Das BWL-Studium in der Tasche nutzt sie die Fortbildungsmöglichkeiten des Deutschen Weininstituts, um sich weiter in die Welt der Weine einzuarbeiten.
In der Küche bilden beide ein eingespieltes Team.
Während der Vater über Geschmacksbilder, Nuancen und Gerbstoffe spricht, hat die Tochter einen Blick für alle übrigen Dinge, die gerade im Laden geschehen. Auf der Terrasse vor dem Weinlädele wollen beide noch den Januar hindurch ihre Gäste mit hochwertigem Glühwein versorgen. Der ist dann zwar ein bisschen teurer – aber Qualität hat nunmal ihren Preis, das wissen beide, während der heiße Dampf aus ihren Tassen steigt.
von Dennis Siepmann