„Am 27. September entscheiden die Deutschen darüber, ob dieser Reaktor und sieben weitere länger betrieben werden sollen, wie die CDU/CSU und Merkel wollen, oder ob wir acht dieser schwierigen Reaktoren endlich abschalten können“ sagte Gabriel. Der Minister behauptete auch: „Der Störfall ist der Normalfall.“
Dieser Satz stimmt technisch betrachtet nicht. Was ein Störfall ist, geht beispielsweise aus der internationalen Bewertungsskala INES hervor, die die Außenwirkung sogenannter Ereignisse einordnet. Sie umfasst acht Stufen von 0 bis 7. Die 0 steht für Ereignisse ohne oder mit geringer sicherheitstechnischer Bedeutung. Eine 1 steht für Störung. Erst die 2 bezeichnet einen Störfall. Wie häufig Ereignisse dieser Kategorien auftauchen, verzeichnet das Bundesamt für Strahlenschutz. In einer Liste für das Jahr 2007 beispielsweise führt das Amt für in Betrieb befindliche Atomkraftwerke insgesamt 106 Vorfälle auf, die nach deutschen Kriterien meldepflichtig waren. Davon fallen 104 unter die INES-Kategorie 0. Zwei wurden als 1, also als Störung, eingestuft. Im Jahr 2007 gab es danach keinen einzigen Störfall.
Nach dem deutschen Meldesystem gab es 2007 sechs Fälle, in denen Eilmeldungen erforderlich waren. Laut Bundesamt für Strahlenschutz sind dies Ereignisse, die zwar keine Sofortmaßnahmen der Aufsichtsbehörde verlangen, deren Ursache aber aus Sicherheitsgründen geklärt und in angemessener Frist behoben werden muss.
Der Ausfall des Transformators in Krümmel läuft im INES-System unter 0. Nach den deutschen Meldekategorien fällt es unter die Normalmeldungen. Das sind laut Bundesamt Vorkommnisse von „untergeordneter sicherheitstechnischer Bedeutung“. Weiter heißt es dazu, „diese Ereignisse gehen im Allgemeinen nur wenig über routinemäßige betriebstechnische Ereignisse hinaus“. Stephan Kurth, Experte für Nukleartechnik und Anlagensicherheit beim Öko-Institut in Darmstadt, sagt: „Der bloße Ausfall eines Transformators ist kein Störfall.“ Für die Bedeutung eines Vorfalls seien aber auch die weiteren Folgen und die Ursachen eines Ereignisses entscheidend. Dazu ist bisher nichts bekannt.
Die weit überwiegende Zahl der Vorkommnisse in laufenden Kernkraftwerken ist nach den gängigen Kriterien von geringer sicherheitstechnischer Bedeutung. Eine Vielzahl von ihnen fällt laut Kurth „bei Tests auf, also weit im Vorfeld. Da besteht keine akute Gefährdung“. Der Experte betont, dass auch diese Fälle auf Fehler in einem Bereich mit sehr hohem Gefährdungspotenzial hinweisen. „Alltag ist auch hier, dass es Fehler gibt. Das ist der Normalfall“, sagt Kurth.
Ob ältere Reaktoren weniger sicher sind als jüngere, ist nach Einschätzung von Sven Dokter von der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) pauschal kaum zu sagen. So entsprächen die Konzepte älterer Reaktorbaulinien zwangsläufig nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik, der jüngeren Reaktorkonzepten zugrunde gelegt wurde. Ältere Anlagen seien allerdings immer wieder nachgerüstet worden um sie „an den aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik heranzuführen“, sagt Dokter.
In Einzelfällen könne ein älterer Reaktor durch eine Nachrüstung zeitweilig sogar in einem Punkt moderner sein als ein neuerer, der noch nicht entsprechend nachgerüstet wurde. Außerdem seien einzelne Sicherheitsziele oft auf verschiedenen Wegen und auch auf Basis älterer Reaktorkonzepte erreichbar. Dokter betont zwar: „Die Nachrüstung hat ihre Grenzen.“ Dies gelte vor allem für die Auslegung gegen Flugzeugabstürze. Dennoch sei es schwierig, Anlagen allein aufgrund ihres Alters als sicherer und unsicherer einzuordnen. Dokter: „Man muss immer den Einzelfall betrachten.“
ddp