„Das wäre eine von mehreren Optionen“, heißt es in Führungskreisen der Union. Wichtiger als jede einzelne Personalentscheidung sei ein Gesamtpaket für die Zukunft der EU, das sowohl von den Staats- und Regierungschefs als auch vom Brüsseler Parlament gebilligt werde. Dies sei derzeit noch nicht in Sicht. „Die Lösung wird noch einige Wochen dauern.“
In den Kreisen wird eingeräumt, dass zum jetzigen Zeitpunkt ein Abgang Junckers die Wähler verwirren und enttäuschen könnte. Dies könne sich aber ändern, wenn sich nach einer monatelangen Debatte erweise, dass Juncker im Kreis der Staats- und Regierungschefs nicht durchsetzbar ist. Auch komme es auf die konkrete Alternative an.
Juncker war Spitzenkandidat der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) bei den Wahlen zum Europaparlament. Nachdem die EVP mit 241 von 751 Mandaten zur relativ stärksten Kraft geworden war, forderten im Parlament auch die Sozialdemokraten und Sozialisten, Juncker zum Kommissionspräsidenten zu machen. Alles andere wäre „Wählertäuschung“, hatte der unterlegene Spitzenkandidat der Sozialisten gesagt, der deutsche SPD-Politiker Martin Schulz.
Die Regierungschefs indessen machen jetzt geltend, dass sie selbst nach den europäischen Verträgen das Recht haben, den EU-Kommissionspräsidenten zu nominieren. Das Parlament müsse zwar zustimmen, insofern könnten die Regierungen in dieser Frage nicht ohne das Parlament handeln. Umgekehrt könne es aber auch keine bindenden Vorfestlegungen durch das Parlament geben. Für die von EVP und Sozialisten ausgerufenen Spitzenkandidaturen habe es rechtlich kein Fundament gegeben.
Politisch hatten die Spitzenkandidaturen vor allem in Deutschland und Österreich eine große Rolle gespielt. In anderen EU-Staaten gewannen Juncker und Schulz dagegen nur wenig Profil. Großbritannien hatte schon von Anfang an den Gedanken an Spitzenkandidaturen als abwegig bezeichnet.
Am Montag traf Merkel im schwedischen Harpsund mit Großbritanniens Premier David Cameron und weiteren Kritikern Junckers zusammen. Schwedens Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt sagte, schon die Kandidatur von Juncker sei ein Fehler gewesen: „Was mich und Schweden angeht, haben wir den Prozess als solchen immer infrage gestellt.“
Als mögliche Alternativen zu Juncker gelten der irische Ministerpräsident Enda Kenny, Finnlands Premier Jyrki Katainen, der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski (alle EVP) sowie Dänemarks Ministerpräsidentin Helle Thorning-Schmidt. Sie gehört zu den Sozialdemokraten, ist aber wegen ihrer Reformpolitik auch im konservativen Lager und in Wirtschaftskreisen anerkannt.