Für KD Wolff begann die Studentenbewegung schon einige Jahre vor dem magischen Datum 1968 – und zwar ganz konkret im Jahr 1964 an der Universität in Marburg. Dort hatte der Wallauer im Alter von 21 Jahren sein Jurastudium aufgenommen, nachdem er sich nach dem Besuch des Gymnasiums in Biedenkopf und einer High School in den USA zuvor zwei Jahre bei der Bundeswehr dienstverpflichtet hatte.
Es war eine Einführungsvorlesung von Professor Erich Schwinge an der Marburger Universität, in der Wolff gewissermaßen sein Coming Out in Sachen politischem Protest hatte. Wegen seiner Verstrickung in die Nazi-Zeit galt Schwinge damals vor allem in linken Studentenkreisen als höchst umstritten, was auch Niederschlag in der Studentenzeitschrift „5 vor 12“ gefunden hatte.
Dem Professor Contra gegeben
Und eben darauf spielte Schwinge in seiner Vorlesung an, als er auf die negativen Auswirkungen der Pressefreiheit anspielte. Dann stellte Schwinge dem Auditorium die rhetorische Frage, ob jemand das anders sehe. Jetzt schlug die Stunde von Wolff, der aufstand und vor rund 500 Studenten in der Einführungsvorlesung dem Professor Contra gab.
„Ich musste mich melden. Wenn ich mich nicht gemeldet hätte, dann hätte ich das Gefühl gehabt, dass man gar nichts machen kann“, sagt Wolff mehr als 50 Jahre später im Gespräch mit der OP in den Räumen seines Buchverlags in Frankfurt.
Kein Verschweigen der Ereignisse
Wolff kann sich noch gut an die entscheidenden Momente erinnern, nachdem er in dem Saal der Alten Aula aufgestanden war. „Ich habe zunächst zwei, drei Minuten gestottert“, berichtet er. Dann sei er aber in seiner Rede selbstsicherer geworden. Dabei sei es ihm darum gegangen, dass nicht verschwiegen werden sollte, was in der Nazi-Zeit passiert sei. „Für mich hat die Revolte also 1964 in Marburg angefangen“.
Schon während seines kurzen Statements hätten Studenten geklatscht und gelacht, erinnert sich KD Wolff. Und am Ende der Vorlesung seien Kommilitonen zu ihm gekommen und hätten ihn bestärkt. Professor Schwinge habe zu Wolffs Replik im Übrigen nichts gesagt.
Sohn eines Amtsrichters
Für Wolffs Revolte gegen die Generation der Väter im Nachkriegsdeutschland gab es aber auch eine innerfamiliäre Vorgeschichte. Der in Marburg geborene KD Wolff war einer von vier Kindern eines Amtsrichters, der vor 1945 am Gericht in Battenberg und wegen seiner Verstrickung in den Nationalsozialismus nach dem Krieg bis 1949 Berufsverbot hatte, ehe er wieder am Amtsgericht in Biedenkopf arbeitete. Die Familie zog in den heutigen Biedenkopfer Stadtteil Wallau. K.D. Wolff legte später an der Lahntalschule in Biedenkopf sein Abitur ab.
Schon als Heranwachsender habe er sich mit den Verbrechen der Nationalsozialisten beschäftigt und beispielsweise Berichte über die Nürnberger Prozesse in der Zeitung gelesen. In diesem Zusammenhang sei es auch zu Auseinandersetzungen mit dem Vater gekommen. „Wir haben gestritten, aber er hat dazu geschwiegen“, erzählt Wolff.
Keine Aussprache mehr mit Vater
Die für viele Freunde auf den ersten Blick nicht nachvollziehbare Aufnahme des Jurastudiums durch den jungen Rebell sei vielleicht auch ein Ausdruck von Schuldgefühlen wegen seiner Vorwürfe gegen den Vater gewesen, nachdem dieser wenige Jahre später bei einem Autounfall ums Leben gekommen sei, erzählte Wolff im Gespräch mit der OP. Zu einer Aussprache sei es deswegen leider nicht mehr gekommen.
Nach der „Schwinge-Episode“ reduzierte Wolff sein „aktives Jurastudium“ zusehends. „Wir haben danach Flugzettel gemacht und Wahlkampf für eine gemeinsame linke Liste“, erinnert sich Wolff. Dabei habe unter anderem der spätere FDP-Bundesvorsitzende Wolfgang Gerhardt mitgeholfen. Der Wahlkampf sei dann sehr erfolgreich gewesen, berichtet KD Wolff. Doch sein Interesse am Studienstandort Marburg war für ihn erst einmal erloschen. „Die Leute waren zu sehr von Wolfgang Abendroth dominiert“, erläutert Wolff im Gespräch mit der OP.
Letzter Bundesvorsitzender des SDS
Der Professor für Politikwissenschaften habe zu sehr die Richtung vorgegeben, der Ende der 60er-Jahre auch ein Großteil der im Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) organisierten Marburger Studierendenschaft gefolgt sei. „Das waren Dogmatiker“, meint Wolff. „Statt einer Demo gegen den Krieg in Vietnam wollten sie lieber einen Kurs über Lohnarbeit und Kapital machen“, erinnert er sich. „Die internen Diskussionen mit ihm waren nicht besonders kreativ“, sagt Wolff über Abendroth. Wolff ging dann zum Studium an die Universität nach Freiburg, wo sein Bruder Frank schon am Konservatorium in der Cello-Meisterklasse studierte.
Wenig später gingen dann beide Brüder gemeinsam an die Universität Frankfurt, vor allem wegen Theodor W. Adorno. KD Wolff wurde im Herbst 1967 zum SDS-Bundesvorsitzenden gewählt, Frank Wolff hatte die Funktion als Sprecher der Gruppierung. Im Jahr 1968 spielten die Wolffs dann eine bundesweit sichtbare Rolle als Protagonisten der Studentenschaft. Als damaliger Vertreter des antiautoritären SDS-Flügels der Frankfurter Prägung hatte KD Wolff keine so hohe Meinung von den Marburger SDS-Leuten. „Die waren sehr brav“, meint er heute, 50 Jahre später.
Hintergrund |
Vor wenigen Wochen feierte er seinen 75. Geburtstag: Der Frankfurter KD Wolff arbeitet nach wie vor als Inhaber seines Buchverlags Stroemfeld/Roter Stern, den er 1970 gegründet hatte. Ein Jahr zuvor war er zusammen mit Jörg Schröder Mitgründer des März-Verlages. |
von Manfred Hitzeroth