Marburg. Das ganze Ausmaß der Schäden bei dem Bombardement aus der Luft geht aus einer umfangreichen Akte der Philipps-Universität hervor, die die Marburger Universitäts-Archivarin Dr. Katharina Schaal jetzt beim „Tag der Archive“ präsentiert. „Terrorangriff am 22. Februar 1944“: So ist die Akte betitelt. Mit „Terrorangriff“ wurde von den Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg jeder feindliche Luftangriff umschrieben.
Dabei kam Marburg im Vergleich zu anderen deutschen Städten insgesamt sehr viel glimpflicher davon. Der Luftangriff auf das Marburger Nordviertel am 22. Februar 1944 forderte mehr als Todesopfer. Sieben Wohnhäuser und zwei Wirtschaftsgebäude wurden total zerstört. Vier öffentliche Gebäude – darunter drei Kliniken der Universität – wurden schwer beschädigt. Zum Vergleich: Allein bei den Großangriffen der alliierten Bomber auf Kassel am 22. und 23. Oktober 1943 starben weit mehr als 7.000 Menschen, und rund 97 Prozent aller Häuser in der Kasseler Altstadt wurden eingeäschert.
Die Bomber kamen am 22. Februar 1944 um 15.15 Uhr. Der Angriff dauerte laut einem ausgefüllten Merkblatt, das der Uni-Akte beigeheftet ist, nur eine Minute – doch die Folgen waren verheerend. Demnach hatten „wahrscheinlich über 10 Flugzeuge“ – wegen der Wolkendecke konnte die Anzahl nicht genauer festgestellt werden – aus rund zwei Kilometern Höhe insgesamt 84 Bomben über Marburg abgeworfen. Darunter waren zwei Nebelbomben zur „Markierung des Tagesziels“.
Die Mehrzahl dieser Bomben waren Flüssigkeitsbrandbomben, wie dem minutiös ausgefüllten Vordruck zu entnehmen ist. Ziel der Bomben der amerikanischen Flugzeuge war das Marburger Bahnhofsviertel. „Die Gleisanlage der Reichsbahn-Hauptstrecke Kassel- Frankfurt wurde teilweise zerstört. Der Verkehr wurde etwa 22 Stunden unterbrochen“, heißt es in dem Merkblatt. Doch auch Wohnhäuser und mehrere Kliniken der Universität in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs, die teilweise auch als Lazarette genutzt wurden, wurden von den Bomben getroffen: am schwersten die chirurgische Klinik, die Augenklinik sowie das Pathologische und Gerichtsärztliche Institut. Nicht nur Operationssäle und Patientenzimmer, sondern auch die Verwaltungsräume der Kliniken wurden teilweise völlig zerstört. Diese Bombenschäden an den Uni-Gebäuden waren auch der Grund dafür, dass die Akte angelegt wurde. „Der Schaden für die Universität war schwer“ schrieb der damalige Universitäts-Kurator Ernst von Hülsen einige Jahre später in einem Bericht über die Kriegsjahre, der ebenfalls der Akte beigeheftet ist. Und damit meinte er nicht alleine die Gebäudeschäden, die den Kliniksbetrieb nachhaltig erschwerten, sondern auch die „Toten der Universität“.
„Tief erschüttert beklagte die Universität den Tod von 23 Kranken in den betroffenen Kliniken, von 16 Mitgliedern ihres Personals sowie die Verletzung von 22 Kranken und 40 Mitgliedern ihres Personals“, schrieb Hülsen. Ebenfalls der Akte beigeheftet sind die Todesanzeigen der bei dem Luftangriff Verstorbenen aus der „Oberhessischen Zeitung“. Exakt ein Jahr nach diesem ersten großen Bombenangriff gab es wenige Monate vor Kriegsende noch einen weiteren schweren Luftangriff, der wiederum vorwiegend das Nordviertel traf, aber weniger Todesopfer forderte.
Im Universitätsarchiv im Erdgeschoss des Marburger Staatsarchivs wird die Akte zum „Terrorangriff vom 22. Februar 1944“ am Sonntag, 4. März, ab 11 Uhr anlässlich des Tags der Archive in einer Vitrine präsentiert.
von Manfred Hitzeroth