Zehn Tage hat er schon in den Beinen, aber Bergfest ist noch lange nicht. Heute geht es in Cölbe am Friedhof entlang. Haus für Haus, Tür für Tür, Name für Name. Natürlich kennt er viele der Menschen schon, an deren Tür er klopft. Jens Ried lebt seit gut zehn Jahren in der Gemeinde, im Ortsteil Bürgeln. Über seine Arbeit in der CDU-Fraktion der Gemeindevertretung kommt er ja ständig mit den Cölbern in Kontakt. Und viele kennen ihn. Sie wissen gleich, was er will, als er vor der Tür steht.
„Ach“, sagt eine ältere Dame, als sie in Pantoffeln die Tür aufmacht. Das klingt wie: Da sind sie ja. Ried muss sich also nicht vorstellen. Er drückt der Frau eine Broschüre in die Hand. Darin stehen Dinge über seine politischen Überzeugungen und Ziele. Jens Ried bietet der Dame noch an, mit etwas mehr Zeit wiederzukommen, falls sie über ein besonderes Thema mit ihm reden möchte. Schließlich hat er noch viel vor heute. Die Dame möchte aber nicht.
An diesem Montagnachmittag ist es schon recht herbstlich. Es regnet ein bisschen, Autos parken an der Straße. Daneben stehen vor vielen Häusern schwarze Mülltonnen, die die Menschen für den nächsten Tag schon mal rausgestellt haben. Die Müllabfuhr kommt, der Herbst auch und bald ein neuer Chef ins Rathaus. Oder eine neue Chefin? Cölbe wartet.
Viele sind noch nicht zu Hause
Ried ist bei den Anwohnern nicht angemeldet, marschiert mit seiner Frau Simke eine Route entlang, die er zuvor ausbaldowert hat. Es ist fünf Uhr, als er seine Reise beginnt. „Da sind noch viele bei der Arbeit“, sagt er. Und richtig, etwa die Hälfte der Haustüren bleibt verschlossen, nachdem er auf die Klingel drückt. „Das zeigt, wie wichtig die Kinderbetreuung ist“, sagt er. Simke Ried macht sich Notizen, schreibt auf, wo niemand öffnet, damit ihr Gatte an einem anderen Tag nochmal vorbeischauen kann.
Diejenigen, die öffnen, reagieren ganz unterschiedlich. Überrascht scheinen sie alle zu sein. Manche freuen sich, dass der Bürgermeisterkandidat bei ihnen vorbeischaut. Andere wiederum sind offenbar froh, dass Ried nur kurz Zeit hat. Zumal er heute ja auch noch die Presse dabei hat. Ried macht es dann kurz. Alles klar, vielen Dank, hier noch die Broschüre, weiter geht es.
In einem Mehrfamilienhaus bellt irgendwo ein Hund. „Den kenne ich“, sagt Jens Ried. Die Rieds haben selbst auch einen. Deswegen habe er auch keine Bestechungssnacks für feindselige Hunde dabei, sagt Ried. Er könne die Tiere gut einschätzen und habe keine Angst.
Muss ein Bürgermeister auch Gärtner sein?
Über Politik wird bei den Begegnungen mit den Wähler eher selten gesprochen. Hier und da werden ganz andere Qualitäten des Bürgermeisterkandidaten abgefragt. Eine Cölberin beklagt sich über die Schäden, die der trockene, heiße Sommer in ihrem Garten angerichtet hat. „Verstehen Sie etwas vom Gärtnern?“, will sie von Ried wissen. Einen Strauch in ihrem Vorgarten habe es besonders erwischt. Ob er wisse, was man da machen kann. Ried würde gern helfen, aber über etwas Garten-Smalltalk kommen die beiden nicht hinaus.
An einer anderen Tür öffnet ein Mann im Bademantel. Er bittet die Rieds herein und verschwindet dann, um sich schnell umzuziehen. Seine Frau kommt ins Wohnzimmer. „Meine Waschmaschine streikt“, sagt sie. Sie habe aus dem Keller Stimmen gehört und gedacht, ihr Mann hätte schon einen Installateur angerufen. Von Waschmaschinen hat Ried aber auch keine Ahnung. Punkten kann er dann aber im Gespräch mit dem frisch geduschten Gatten.
Der pensionierte Beamte stellt sich als Polit-Experte heraus. Als Architekt habe er jahrzehntelang für die öffentliche Hand gebaut. Die beiden Männer spielen sich die Bälle zu und erörtern verschiedene Probleme. Der Architekt erzählt aus der Vergangenheit, von CDU-Politikern in Wiesbaden und Marburg. Ried macht deutlich, dass er zwar ein CDU-Parteibuch besitzt, aber seinen Wahlkampf unabhängig von den Parteien gestalten möchte.
Einige Häuser weiter spricht ein anderer Mann Ried auf Straßenschäden an. „Die Straße rutscht hier ab“, sagt er. Der Bürgermeisterkandidat schaltet sogleich in den Aktionsmodus und zählt auf, was man alles tun sollte und könnte, um das Problem zu lösen. Ob er damit die Stimme des Cölbers gewinnen konnte, bleibt offen. Von den besuchten Wählern hat sich an diesem Nachmittag niemand in die Karten schauen lassen.
von Dominic Heitz