Es gibt eine Szene, die Sandra Laaz in vielfacher Hinsicht gut beschreibt. Sie spielte sich vor nicht allzu langer Zeit in der Marburger Nordstadt ab und stellt sich so dar: Ein Autofahrer parkt sein Fahrzeug mitten auf dem Gehweg vor dem Finanzamt. Die 48-jährige Tagesmutter zieht gerade die fünf Kinder, die sie beruflich betreut, während eines Ausflugs in einem Wagen hinter sich her und stoppt vor dem ihren Weg blockierenden Auto.
„Entschuldigen Sie, könnten Sie bitte vom Gehweg fahren? Ich will mit den Kindern nicht auf die Straße zu den Autos und um Sie herumlaufen“, sagt sie. Der Autofahrer, so erinnert sich Laaz, reagiert empört und greift sie verbal an: „Fünf Kinder? Eine Assoziale also. Sie wählen bestimmt auch noch Grün!“ Laaz kontert: „Ich bin die Fraktionsvorsitzende der Grünen.“
Es ist eine Situation, in der viel von dem zum Vorschein kommt, was Laaz ausmacht und was Weggefährten und Konkurrenten über sie erzählten: Sie ist Tagesmutter und Politikerin, humorvoll, schlagfertig und geht auch Streit nicht aus dem Weg. Zudem ist sie die grüne Dauer-Direktkandidatin im Landkreis Marburg-Biedenkopf. Das Jahr 2018 ist nicht ihr erster Wahlkampf als Frontfrau, nicht ihre erste Rolle als Spitzengesicht der Partei in dem Gebiet zwischen Ebsdorfergrund und Hinterland, Münchhausen und Cölbe.
Bereits 2013 und 2009 bewarb sie sich als Direktkandidatin um das Landtagsabgeordneten-Mandat im Wahlkreis 12 – jenem Bereich, der das traditionell mit vielen Grünen-Sympathisanten ausgestattete Marburg nicht umfasst – und sorgte mit für
ein Zweitstimmen-Ergebnis von 11,1 Prozent im Jahr 2009 beziehungsweise 7,6 Prozent vier Jahre später.
Ihr persönliches Erststimmenergebnis war, ist und bleibt für sie „relativ irrelevant“. Fürs Protokoll: Es waren 8,5 beziehungsweise 5,6 Prozent für die in einer Dachgeschosswohnung in der Oberstadt lebende Mutter. Die Mühen der Ebene, ohne eine
Chance, das Direktmandat zu ziehen und Landtagsabgeordnete zu werden, nimmt sie fast lakonisch auf sich. „Politik, Engagement generell geht nur aus Überzeugung, mit Glauben an die Inhalte, Gestaltungswillen und mit Spaß.“ Laaz steht, wie so mancher andere Grünen-Direktkandidat, nicht mal auf der 60-köpfigen Landesliste ihrer Partei. Aus Marburg-Biedenkopf, einer Grünen-Hochburg, hat es kurioserweise sowieso nur Dr. Angela Dorn überhaupt auf diese geschafft (Position 3).
„Will, dass Salzbödebahn reaktiviert wird“
Und trotzdem eine Podiumsdiskussion hier, ein Infostand dort: Die Marburgerin bezeichnet sich als „leidenschaftliche Grüne“, weshalb sie – private Einschränkungen ausgenommen – die dritte Direktkandidatur nicht enorm stresse. „Gesichter vertreten Positionen. Und ich versuche stets, Menschen von meinen, von unseren Ideen zu überzeugen.“
Laaz ist hessische Landesvorsitzende des bundesweit 54 000 Mitglieder zählenden Verkehrsclubs Deutschland, eine Organisation, die sich für eine Verkehrswende im Sinne einer sozial- und umweltverträglichen Mobilität aller Verkehrsteilnehmer einsetzt. Und genau das ist ihr politischer Schwerpunkt: Verkehrsfragen. Sie hat konkrete Vorstellungen von dem, was in der nächsten Legislaturperiode speziell im Westen des Landkreises passieren soll: „Ich will, dass die Salzbödebahn reaktiviert wird.“ Im Nahverkehr tue sich trotz mehr vorhandenem Geld im ganzen Landkreis noch zu wenig, ebenso beim Thema Energiewende, wo sie auch den „eher eingeschlafenen“ Solarbereich ausweiten will.
Für das Überleben der Landwirtschaft sieht die Hobby-Gärtnerin – sie betreibt einen Schrebergarten am Afföller – die Zukunft in der Bioproduktion, der Stärkung von regionaler Erzeugung der Lebensmittel. Vorhaben, die in der nächsten Legislaturperiode nur umgesetzt würden, wenn die Grünen Teil der Landesregierung bleiben.
Zur Person
Name: Sandra Laaz
Alter: 48
Wohnort: Marburg
Mitglied der Grünen seit: 1994
Listenplatz Landesliste: /
Beruf: Tagesmutter
Also weiter mit der CDU? In einer Jamaika-Koalition mit CDU und FDP? In einem aufgrund jüngster Umfragen eher unwahrscheinlichen Linksbündnis mit SPD und mit oder ohne Linke? „Die Frage, mit wem, ist zweitrangig. Wichtig ist, dass wir viele grüne Inhalte durchsetzen können.“
Und doch betont sie, die Ende der 1990er Jahre in Marburg als eine Verhandlungsführerin die rot-grüne Stadtregierung geschmiedet hat, die Erfolge von Schwarz-Grün in Hessen. Kostenlose Kindergärten, Job-Ticket für Landesbedienstete, Fortschritte bei Energiewende und Verkehr – Stichwort Bahnstrecken-Wiederbelebung.
Verkehr? Energiewende? In Marburg steht trotz mehrerer kommunaler Anläufe und landesweiter Zielvorgaben weiterhin kein weiteres Windrad. Auf der Marburger Stadtautobahn gibt es trotz Grünen-Verkehrsminister kein Tempolimit, keinen aktiven Lärmschutz, geschweige denn einen B3-Tunnel. „Wir haben getan, was wir konnten. Es ist eine Bundesstraße, es hängt also letztlich alles am Bund. Auch wenn es schwer ist, den Wählern, den Bürgern diese Zuständigkeitsfragen zu vermitteln, ist das ein Fakt.“ Zuständig – das würde sie für Hessen gerne bleiben.
von Björn Wisker